Vom Wald auf den Teller: ein schwedischer Elch-Herbst

Das edle Jägerleben vergnüget meine Brust.
Dem Wilde nachzustreben ist meine größte Lust.
Wo Reh´  und Hirsche springen, wo Rohr und Büchse knallt,
wo Jägerhörner klingen, da ist mein Aufenthalt.

(Aus: „Auf, auf zum fröhlichen Jagen“, Deutsche Volksweise)

Elch - vorher

vorher, Bild: Ann Dekeyzer

Fragt man den Schweden nach seinen Hobbys, kann man sicher sein, an spätestens zweiter Stelle „draußen in der Natur Sein“ genannt zu bekommen. Tatsächlich hat man den Eindruck, der Schwede sei ständig draußen, Sommers wie Winters, von schlechtem Wetter lässt er sich nicht abhalten, auch wir Deutschen wissen, aber der Schwede setzt es um: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. So kann jeder Schwede aus einem häuslichen Ausrüstungs-Sortiment schöpfen, bei dessen Anblick jeder Outdoor-Store in Deutschland vor Neid erblassen würde..

Naturverbundenheit – die sagt man dem Schweden nach und die sagt er von sich selbst, betont sie, gern und laut. Sie ist subjektiver Teil seines nationalen Selbstverständnisses und objektiv verbrieftes Recht: die freie Nutzung der Natur durch jedermann. Auf dieses „Recht“ weist der Schwede auch gern hin, wenn es kontrovers wird, wenn der Begriff „Naturverbundenheit“ plötzlich Fragen über seinen Bedeutungsspielraum aufwirft, z.B. Ende September, wenn der kurze schwedische Herbst Einzug hält, das Birkenlaub über Nacht gelb wird, um drei Tage später auf einmal zu Boden zu fallen, und: die Jagdsaison beginnt.

Jagd und Jäger – Begriffe, die der Deutsche, wenn überhaupt mit etwas, mit seiner Kindheit verbindet: Der grünberockte Kämpfer für das Gute in den Heimatfilmen, die man mit seinen Eltern sehen musste. „Weil mein Schatz ein Jäger-Jäger ist“ – Volksweisen, die man in der Schule sang. Jagd – das hat für den Deutschen etwas Vorsintflutliches, Archaisches, etwas kulturell Überkommenes. In den Wald zu gehen und Tiere mit dem Gewehr zu töten, für Nahrung, um zu überleben, das ist doch obsolet, wo unser tägliches Fleisch heute in gebrauchsfertigen Portionen unter Glassichtfolie in der Kühltruhe bei ALDI wächst.

In Schweden in jedem Fall ist Jagd ein Volkssport. Von neuneinhalb Millionen Einwohnern haben ca. 300.000 einen Jagdschein, das sind ungefähr 3%. Das klingt erst einmal nicht viel, ist tatsächlich auch nur 1% mehr als in Deutschland. Hält man ich aber zur Jagdsaison im Herbst in Schweden auf, gewinnt man den Eindruck, das ganze Land sei auf der Pirsch. Frauen, Männer, Kinder, Junge, Alte – das Faible für die Jagd zieht sich quer durch alle Alters- und Bildungsschichten. Man hört sie reden, auf der Straße, in der Kneipe, in Internetforen, selbst an Küchentischen „ganz normaler“ Familien fallen jetzt Sätze wie: „Oh, wir müssen Platz in der Gefriertruhe schaffen, morgen kommt der Elch“. Spätestens, wenn der König persönlich sich mit einer Hundertschaft Helfer auf den alljährlichen Weg macht, seinem Pendant der Wälder mit der Flinte zu Leibe zu rücken, ist die Jagd auch Thema Nummer eins in Zeitungen und Fernsehen.

Elch - nachher

nachher, Bild: Dominik Hosters

Jagd in Schweden meint meist die Elchjagd. Zwar wird in der gesamten Saison auf so ziemlich alles geschossen, was sich bewegt, Auer- und Birkhühner, Füchse, Hasen, Rehe, Bären und sogar auf Wölfe, die Königsdisziplin jedoch, das, was das schwedische Waidmannsherz erst so richtig schlagen lässt, ist die Jagd auf Hälge und seine Artgenossen.

Elchjagd in Schweden ist streng reglementiert. Ihre Zeiten sind von Län zu Län genau festgelegt, ebenso die Anzahl der Bullen, Weibchen und Kälber, die in einem bestimmten Gebiet geschossen werden dürfen. Um die Zahlen im Blick zu halten, ist jedes erlegte Tier umgehend den Behörden zu melden, wie fast alle Ämterangelegenheiten in Schweden, gern auch per Internet. Von den ca. 300.000 im Land lebenden Elchen werden jedes Jahr rund ein Drittel zum Abschuss freigegeben. Bei ca. 25 Euro, die pro erlegtem Tier (zusätzlich zur Jahresgebühr für die Jagdlizenz) an die Behörden zu zahlen sind, ein einträgliches Geschäft für den schwedischen Staat.

Elche töten – damit hat es der Deutsche, auch der, der es ansonsten mit der Tierliebe bzw. dem Fleischverzicht nicht so genau nimmt, schwer. Um einen (lebenden!) Elch zu sehen, fährt er ja überhaupt ins Land, bucht Elchsafaris oder fährt mit dem gemieteten Auto im Schritttempo stundenlang durch die schwedische Dämmerung. Dass ein Drittel der Population jedes Jahr weg geschossen wird, erhöht die Chancen eines fotografischen Beweises für die erwartungsfrohen Daheimgebliebenen nicht gerade. Touristenfreundlich ist das nicht. Man (der Deutsche…) könnte das nachgerade persönlich nehmen.

Aber, wie gesagt, die Jagd ist dem Schweden Kulturgut und inneres Bedürfnis. Ganze Familien gehen in den Monaten September bis November gemeinsam auf die Jagd, der Sohnemann lernt vom Vater, ab 15 darf er in Begleitung selbst zur Flinte greifen. In einer Kommune im Län Dalarna wurde gar darüber diskutiert, die Herbstferien zwei Wochen nach vorne zu verlegen, damit Schüler ihren schießfreudigen Eltern in den Wald folgen können. „Älglov“ – Elchferien, wie die Herbstferien sowieso in manchen Gegenden genannt werden, die moderne Form der einstigen „Kartoffelferien“, als die Kinder frei bekamen, um bei der Kartoffelernte zu helfen. Der Vorschlag traf nicht überall auf Gegenliebe.

Überhaupt hat die (Elch-) Jagd in Schweden durchaus nicht nur Befürworter. Abgesehen von der Fraktion der Vegetarier-Tierschützer ist eine wachsende Skepsis gegenüber in der Gegend herum ballernder Hobbyschützen bzw. der ethisch bedenklichen „Lust am Töten“ zu bemerken.

Aber auch in Schweden darf nicht jeder einfach so zur Flinte greifen, es bedarf wie in Deutschland eines Jagdscheins, zu dessen Erhalt eine praktische und drei theoretische Prüfungen abgelegt werden müssen. Lust am Töten möchte sich der schwedische Jäger schon gar nicht unterstellen lassen oder wenigstens nicht auf sie reduziert werden. Jagen sei zwar auch ein Hobby, vor allem aber sei sie notwendig, sprich ein Dienst an Tier und Gesellschaft. Man denke an die Schäden, die der Elch (bzw. zu viele ihrer Art) durch Verbiss dem Wald (= der Forstwirtschaft) zufügt und an die, durch eben jene verursachten Autounfälle. Argumente, die in der Tat nicht von der Hand zu weisen sind, die Zahl der Autounfälle mit Wildbeteiligung beläuft sich im Jahr z.B. auf nicht zu unterschätzende 4 – 5.000. Dass sich die Elch-Population ohne Jagd, aufgrund der dann auftretenden Nahrungsknappheit und schösse man im Zuge der Jagd nicht auch ihre natürlichen Feinde ab, wahrscheinlich von selbst regulieren würde bzw. dass sich die Anzahl Verkehrsunfälle auch durch andere Maßnahmen (z.B. Ausbau der Zäune) begrenzen ließe, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

So viel Brimborium darum gemacht wird, wenn man ehrlich ist, besonders spannend ist die eigentliche Jagd auf den König der Wälder nicht. In erster Linie bedeutet sie stundenlanges Stehen oder Sitzen auf demselben Fleck in der Kälte, das Auge starr auf dasselbe Stück Wald gerichtet. Elchjagd ist sogenannte „Drückjagd“, d.h. ein Heer von Helfern und Hunden treibt den Elch auf die strategisch positionierten Jäger zu, und zwar ohne Lärm zu machen, was die Drück- von der Treibjagd auf z.B. Fuchs oder Hase unterscheidet. Auch hier hat die moderne Technik Einzug gehalten, die Jäger verständigen sich untereinander per Walkie-Talkie, die Hunde sind mit GPS ausgerüstet, ihr Weg kann mit dem entsprechenden Gerät auf der Karte verfolgt werden. Effizienz vor Nostalgie.
Verständlich, dass (bei all der Aufregung) auch einmal ein Schuss daneben geht. Fehlschüsse, bei denen Menschen verletzt oder gar getötet werden, sind in Schweden jedoch erfreuliche Seltenheit. Die meisten Jagdunfälle gehen auf das Konto von Messerverletzungen beim Ausnehmen des erlegten Tieres, gefolgt von Stürzen, hiervon ca. 15% aus dem Hochsitz. Gegen Langeweile und Kälte hilft eben ein regelmäßiger Schluck aus dem mitgeführten Flachmann, der offiziell natürlich erst am Ende des Jagdtages zum Einsatz kommt. Dieses Jahr sorgte ein Fehlschuss trotz bzw. wegen des tödlichen Ausgangs in den Medien für Erheiterung: Er galt einem auf der Weide stehenden Pferd, das der Schütze versehentlich für ein Wildschwein hielt. Der Unglücksschütze war, laut Mitglied eines Internetforums, ein „zugekokster Stockholmer im rosa Hemdchen, der mit dem vom Papi geliehenen Auto und dem ebenfalls von jenem geliehenen Gewehr seine Freunde mit der Erlegung eines Wildschweins beeindrucken wollte“. Der Hauptstädter ist nicht eben beliebt auf dem Land. Da gibt es durchaus Parallelen zu Deutschland.

Häufiger als der Schuss aufs falsche Tier (Jagdgegner munkeln „die Regel“) sind Schüsse, bei denen das anvisierte Tier zwar getroffen aber nicht getötet wurde. Dann heißt es, gesetzlich vorgeschrieben: hinterher, bis das Tier gefunden und „erlöst“ wurde, egal, wie lange das dauert. Nicht immer ungefährlich, ein Bär z.B. reagiert aufs Anschießen eher verstimmt.

Ist der Elch aber einmal erlegt und aus dem oft unwegsamen Gelände ab- und zum Schlachter transportiert, steht seiner kulinarischen Verarbeitung nichts mehr im Wege. So ein Elchbraten (mit geschmorten Birnen und, natürlich!, Preiselbeeren) lässt die Augen jedes Feinschmeckers höher schlagen und überzieht sein Herz mit einem feuchten Schimmer, das Fleisch, zart und mager und dabei doch saftig, dabei von einer feinen nicht aufdringlichen Wildnote . . . Irgendwer muss die ganzen geschossenen Elche schließlich essen, wär‘ ja schade, wenn sie ganz umsonst gestorben wären.

Das kann man als Deutscher im übrigen mithelfen, man muss dazu weder extra nach Schweden reisen noch horrende Summen bei Fleischimporteuren ausgeben. Die nächste Filiale der größten Schwedischen Kulturorganisation „IKEA“ ist niemals weit, tiefgefrorene Lasagne mit Elchfleisch dort schon für 1,95 Euro zu haben. Garantiert dioxinfrei.

In diesem Sinne: Waidmannsheil und/oder guten Appetit!

Autor(in): Silke Gersdorf – silke.gersdorf@web.de

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