Riga – Kulturhauptstadt im Zeichen „Höherer Gewalt“

Riga_by_night_(8230045602)

Nächtliches Weltkulturerbe: In der Altstadt von Riga. Foto: Guillaume Speurt /commons.wikimedia.org/ (CC BY-SA 2.0)

Im Jahr 2014 teilten sich Lettlands Hauptstadt Riga und das nordschwedische Umeå den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“. Zwei ungleiche Städte. 1201 gegründet die eine, 1622 die andere. Deutscher Orden und Hanse hier, samische Tradition dort. Auf den ersten Blick scheint lediglich die Ostsee verbindendes Element.

Als „baltisches Kleinod“ wird die alte Hansestadt Riga mit ihren Jugendstilbauten und der mittelalterlichen Altstadt, einem UNESCO-Weltkulturerbe, vom lettischen Fremdenverkehrsamt beschrieben. Auch vom „Paris des Ostens“ ist zu lesen und zu hören. Ein Loblied, das bei Umeås architektonischem Stadtbild wohl kaum ein Besucher anstimmt.

Doch während die größte Stadt Norrlands weiter wächst, schrumpft die derzeit knapp 700.000 Einwohner zählende baltische Metropole an der Daugava (deutsch: Düna). Sagen die Prognosen der einen Stadt fast eine Verdoppelung der Einwohnerzahl bis 2050 voraus, droht der anderen nahezu die Halbierung.

Unterschiedliche Vorzeichen auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Hauptstadt des von wirtschaftlicher Krise gebeutelten Lettland ging mit einem Etat von 24 Millionen Euro ins Jahr als Kulturhauptstadt 2014. Umeås Budget hingegen beträgt mit 46 Millionen Euro fast das Doppelte.

Auch das lässt sich als „Force Majeure“, als „Höhere Gewalt“ verstehen. Doch erklärt es nicht das Motto von Riga 2014. Dafür lohnt ein Blick in die wechselhafte Geschichte der Stadt.

Riga war Schwedens größte Stadt

Während Umeå ein weithin unbeachtetes Dasein am nördlichen Rand Europas führte, war Riga seit jeher Schnittpunkt von Ost und West und Spielball der Mächtigen. Darunter: Schweden.

Infolge von Reformation, Livländischem Krieg, gegenreformatorischer Bestrebungen eroberte Schweden im Krieg gegen Polen 1621 unter Gustav II. Adolf die alte Hansestadt und Riga. Knapp 100 Jahre verblieb die Stadt im Königreich. War zeitweilig Schwedens größte Stadt. Einer Belagerung im Russisch-Schwedischen Krieg 1656-1658 hielt die aufwendig befestigte Stadt stand. Einer weiteren nicht mehr. Während des Großen Nordischen Krieges wurde Umeå von russischen Truppen niedergebrannt (1714) und endete in Riga die Schwedenzeit. Umeå wurde wieder aufgebaut, Riga fiel dem Zarenreich zu.

Kulturjahr ist Gedenkjahr

Gaismas pils Riga

Neues Wahrzeichen von Riga: Die lettische Nationalbibliothek „Gaismas pils“. Foto: Janels Katlaps /flickr.com (CC BY 2.0)

Der Erste Weltkrieg, dessen Ausbruch sich 2014 zum 100. Mal jährte, brachte den Letten ihre Unabhängigkeit. Derer sie durch den Hitler-Stalin-Pakt vor 75 Jahren beraubt wurden und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Diesen Daten und deren (auch kulturellen) Folgen wird 2014 ebenso gedacht wird wie der Ereignisse vor 25 Jahren.

Zur Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres weihten zehntausende Menschen symbolisch die neue Nationalbibliothek ein. Von Hand zu Hand wanderten die Bücher von den alten Magazinen ins neue Gaismas pils, das „Lichtschloss“, wie der markante und nicht unumstrittene Bau heißt. Zum einen wurde mit dieser „Mitmach-Aktion“ 500 Jahren Buchdruck gehuldigt. Doch erinnerte die Menschenkette auch an den „Baltischen Weg“ von 1989. Damals bildeten über eine Million Menschen eine Kette vom estnischen Tallinn über Riga ins litauische Vilnius um gegen sowjetische Herrschaft, für Selbstbestimmung zu demonstrieren. 1991 wurde Riga wieder Hauptstadt eines souveränen Staates.

Seit 2004 EU-Mitglied und seit Anfang dieses Jahres Mitglied der Euro-Zone ist das Kulturhauptstadtjahr die beste Gelegenheit für Riga als europäische Stadt wahrgenommen zu werden und den Tourismus anzukurbeln. Kultur als Wirtschafts- und Entwicklungsmotor. Ein Aspekt, den auch die Kulturhauptstadt Umeå vor Augen hat.

Es soll nicht die einzige Gemeinsamkeit der beiden Städte sein beziehungsweise bleiben. So gibt es nicht nur gemeinsame Briefmarken und Projekte wie das „Survival Kit“, das sich Perspektiven und Strategien des menschlichen Zusammen- und Überlebens widmet. Im Sinne des Mottos von Riga 2014, dessen Bedeutung die Leiterin des Vorbereitungskomitees Diāna Čivle so erklärt: „Ich glaube, dass die Kultur eine Kraft ist, welche unser Leben zum Besseren führen kann. Für unser Überleben ist die unüberwindbare Kraft der Kultur absolut notwendig – daher bedarf es dieser provokativen Bezeichnung des Programms – Force Majeure.“

200 Veranstaltungen fanden im Zeichen „Höhere Gewalt“ in  der Kulturhauptstadt Riga statt.

Autor: Mathias Grohmann – mathias_grohmann@web.de

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere Beiträge

Schwedenkalender 2024

Schwedenkalender 2024

Unser beliebter Schwedenkalender 2024 zeigt die Schönheit Schwedens in all ihren Facetten. Er enthält die deutschen und schwedischen Feiertage (zweisprachig!), die Geburts- und Namenstage der schwedischen Königsfamilie sowie eine Übersicht über die deutschen...

mehr lesen