Norrbyskär und die Norrbyskären – Inselidyll von nationalem Interesse

Ehemalige Arbeiterwohnung an der Långgrundgatan.

Im Musterort Norrbyskär: Ehemalige Arbeiterwohnung an der Långgrundgatan, auf der Insel Långgrundet. Foto: Atteism /commons.wikimedia.org/

In Norrbyskär zu leben galt einst als Privileg, die Norrbyskären „bedeuteten die Welt“: Ende des 19. Jahrhunderts entstand auf ein paar unbewohnten Inseln im Bottnischen Meerbusen eine der größten Sägewerksanlagen Europas. Gleichzeitig wurde eine neue Gemeinde gegründet. Eine Modellgemeinde für Arbeiter und Angestellte, die „ideale Gesellschaft im Ozean“ sollte entstehen. Ein industrielles und kulturelles Erbe, dessen Erhalt von nationalem Interesse ist. Und ein beliebtes, eines der bedeutendsten Touristenziele in der Region.

Die Inselgruppe Norrbyskären liegt 40 Kilometer südlich der Kulturhauptstadt 2014, Umeå.  Etwa eine Viertelstunde dauert die Fährüberfahrt von dem Örtchen Norrbynan der Küste von Ångermanland, zur Anlegestelle auf Stuguskär, einer der größeren Inseln des Archipels im südlichen Kvarken.

Insgesamt zählen die Norrbyskären gut 70 Inseln und Inselchen, die sich vom Eis geformt vor rund 10.000 Jahren herausbildeten. Und noch heute verändert sich das Antlitz dieser Schären beständig. Zum einen wegen der anhaltenden Landhebung. Zum anderen erobert die Natur zurück, was ihr einst die industrielle Blüte nahm.

Die „ideale Gesellschaft“ von Norrbyskär

1890 kaufte Frans Kempe, einer der Begründer der Mo och Domsjö AB (heute Holmen AB), zur Erweiterung seines Unternehmens die menschenleeren Inseln in der Ostsee. Innerhalb eines Jahrzehnts entstanden eines der modernsten Sägewerke Europas – ein dampfgetriebenes Sägewerk – und die Gemeinde Norrbyskär nach Kempes Vorstellung einer idealen Gesellschaft.

Dabei reichten die Leistungen der Sägewerksgesellschaft von der Wiege bis zur Bahre: Hebammen, medizinische Versorgung, Renten- und Krankenversicherung, kostenlose Wohnungen samt Flächen für Gemüseanbau und elektrischem Licht, eine für damalige Verhältnisse gute Schule, Badehaus, Freizeiteinrichtungen. Der Preis für den hohen Lebensstandard und hohe Gehälter waren die Abhängigkeit  der Arbeitnehmer und Kontrolle beziehungsweise strikte Vorschriften die Lebensweise betreffend. Frans Kempes regierte „seine“ Inseln autokratisch. Dazu zählte auch das Verbot gewerkschaftlicher oder politischer Aktivitäten.

Kegelbanan-Norrbyskär-Riksantikvarieämbetet

Freizeitgestaltung in Norrbyskär: Die Kegelbahn. Foto: Bengt A Lundberg, Swedish National Heritage Board /commons.wikimedia.org/ (CC BY 3.0)

Seine Hochzeit erlebte Norrbyskär in den 1920er Jahren. Mit der Wirtschaftskrise begann der Niedergang. 1952 schloss das Sägewerk und so jäh wie die Gemeinde von Norrbyskär aufblühte, verging sie wieder. Von den einst 1.400 Inselbewohnern blieb keiner. Die letzten Familien zogen in den 1960er Jahren weg. Spätere Neuansiedlungen scheiterten. Unter anderem auch daran, dass der Fährbetrieb eingestellt wurde.

Von der Industriebrache zur Sommerfrische

1977 erwarb die Gemeinde Umeå die Norrbyskären. Und seit den 1980er Jahren erlebt die Inselwelt von April bis September erneut eine Blüte – als Touristenziel und Sommeridyll. Zudem beleben alljährlich Künstler und ihre Werke den Archipel. Im Jahr 2014 diente die Inselkulisse im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres Umeå 2014 Fotografien, Gemälden und textiler Kunst. Mit Giessie, dem samischen Sommer, beginnt die Ausstellung „Vingar“.

Neben Kunst erwartet Besucher auf den Inseln rund um Norrybskär eine Mischung aus Industrie- und Kulturgeschichte und Natur. Was von der einstigen Sägewerksgemeinde noch nicht gänzlich verfallen oder verschwunden war, zeigt sich wieder hergerichtet. Ob die alten Arbeiterhäuser, die wie an einer Schnur aufgereiht sind, heute als Domizil für Sommerfrischler, das Anwesen des Fabrikdirektors, heute als Hotel und Restaurant oder die alte Maschinenhalle, in der das Norrbyskärs museum eingerichtet wurde. Das Museum berichtet – sowohl im Museum selbst, als auch auf einem historischen Pfad – vom Leben in der Sägewerksgemeinde auf den nordschwedischen Inseln.

Zu diesem Leben gehört auch, dass kaum ein Flecken unberührt blieb. Doch mit dem Niedergang der Sägewerksgesellschaft eroberte sich die Natur Flächen zurück. So lassen sich beispielsweise im Erlenwald auf Tannskär zwischen den Bäumen die Spuren des früheren Hobelwerks entdecken. Zudem finden sich Küstenlaubwälder „von höchstem Naturwert“.

Wertgeschätzt wird das Inselreich um Norrbyskär mit seiner außergewöhnlichen industriellen und kulturellen Vergangenheit auch als Reichsinteresse. Auch filmisch wird der besonderen Geschichte der Norrbyskären und der mit ihr verbundenen Menschen gedacht:

1994 erschien das Doku-Drama von Runar Ekberg „Skären som var världen“, zu deutsch „Schären, die die Welt bedeuteten“.

Mehr zur Vergangenheit und Gegenwart des Archipels unter:

https://www.norrbyskar.se/

Autor: Mathias Grohmann – mathias_grohmann@web.de

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