Arbeiterliteratur – Moa Martinson

Moa Martinson

Foto: https://de.wikipedia.org/wiki/Moa_Martinson

Moa Martinson (1890-1964), geborene Helga Maria Swartz, ist eine politisch feministische Schriftstellerin der 1930er Jahre und die einzige Frau unter den Verfassern von schwedischer Arbeiterliteratur dieser Zeit in Schweden.

Helga Swartz wird 1890 als uneheliche Tochter einer Fabrikarbeiterin in der Nähe Norrköpings geboren. Die ersten sieben Jahre ihres Lebens wächst das Mädchen bei ihrer Großmutter auf, während ihre Mutter gezwungen ist, als Arbeiterin einen minimalen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Als Moa sieben Jahre alt ist, heiratet ihre Mutter, um Moa fortan bei sich haben zu können. Die folgenden Jahre bis zum Ende ihrer Jugendzeit sind in Moa Martinsons erfolgreichsten Werken, ihrer Mia – Trilogie nachzuvollziehen. Zu der Mia – Trilogie zählen Mor gifter sig (Mutter heiratet, Kyrkbröllop (Kirchenhochzeit) und Kungens rosor (Die Rosen des Königs). Hier hat Moa Martinson biografische Züge von ihrer Kindheit bis zur jungen Erwachsenzeit verarbeitet. Besonders der erste Teil schildert eindringlich die Lebensumstände der schwedischen Statare (etwa Landarbeiter), insbesondere der Arbeiterfrauen zur Jahrhundertwende im Fattigsverige. Die Handlung ist aus der Sicht der kleinen Ich-Erzählerin Mia geschildert. Und nur durch die Schilderung kindlicher Naivität und aus Mias Unverständnis heraus ist es den Lesenden überhaupt möglich, die Geschehnisse aufzunehmen ohne zu weinen, ohne in Wut und Ekel über die Zustände und auch das Verhalten der Männer jener Zeit zu geraten.

Wie schlimm kann schon Armut sein, wenn es so einfach scheint, 5 Öre zu finden, wenn man wie Mia durch die Abwassergräben krabbelt? Und von dem so leicht gefundenen Geld kann man Zuckerkringel kaufen, genau wie es in einer völlig anderen Welt und Geschichte auch Lisabeth und Madita tun. Wer sich Zuckerkringel leisten kann, kann doch nicht so schlecht dastehen. Aber diese Illusion entsteht nur kurzweilig, nur wenn man sich Mias kindlich-naivem Blick hingibt. Zwischen den Zeilen lesend und sich in die Lage von Mias Mutter versetzend, tut sich die Grausamkeit, Armut, der Gestank des Arbeiterschwedens zur Jahrhundertwende auf. Innerhalb von zwei Jahren zieht die Familie sieben Mal um, immer auf der Suche nach einer besseren Arbeit und einer menschengerechteren Behausung. Die erhoffte Erleichterung des Lebens durch die Heirat bleibt aus. Stattdessen versäuft Moas Stiefvater das spärlich verdiente Geld und zeichnet sich durch Abwesenheit aus. Mias Mutter ist gezwungen, hochschwanger arbeiten zu gehen. Eine der Ursachen davon, dass von drei Schwangerschaften von Mias Mutter kein neugeborenes Kind überlebt.

Wie auch Mia versucht Moa sich aus der absoluten Armut langsam aufzurichten. Als Jugendliche beginnt sie als Kellnerin in einem Hotel zu arbeiten und wird die jüngste Kaltmamsell des Landes. Doch scheint auch sie sich aus dem Kreislauf und dem Schicksal, das den Arbeiterfrauen auferlegt ist, nicht entziehen zu können. Mit 18 Jahren wird Moa Martinson schwanger. Sie heiratet den Vater des Kindes. Auch dieser ist wie ihr Stiefvater alkoholkrank. Sie bringt drei weitere Söhne zur Welt. Zwei von ihnen ertrinken eines Wintertages in einem See, 1922 begeht ihr Mann Selbstmord. In ihrer Trauerphase beginnt Moa erstmals zu schreiben. Ihre Bekannte und spätere Freundin Elin Wägner bietet ihr die Möglichkeit, an der von Frauen für Frauen eingerichteten staatlichen Weiterbildungsschule Fogelstad teilzunehmen. Moa baut hier ihre schriftstellerischen Fähigkeiten aus. Es muss bedacht werden, dass Moa nur, wenn auch immer mit ausgezeichneten Noten, bis zu ihrem 13. Lebensjahr eine Schulbildung erhielt. Diese Schulzeit brachte sie darüber hinaus an neun verschiedenen Schulen zu.

Mit der Zeit entwickelt Moa einen immer kritischer werdenden Blick auf die Politik und Gesellschaft Schwedens. Sie wird Sympathisantin der syndikalistischen Bewegung, fühlt sich dem Kommunismus hingezogen und wird in ihrer Zeit in Fogelstad zunehmend sensibilisiert für Frauenrechte und die Frage nach einer Gleichstellung der Geschlechter. Sie veröffentlicht zunehmend Artikel und Aufsätze u. a. in der sozialkritischen Zeitschrift Brand , in der sie beispielsweise die Frage nach Bildung für Kinder diskutiert. Während ihrer Zeit in Fogelstad lernt sie Harry Marinson kennen, mit dem sie von 1929 bis 1940 eine Ehe führt. Ihr Schreiben wird oft mit dem Harrys, der 1974 den Literaturnobelpreis gewinnt, verglichen und qualitativ in seinen Schatten gestellt.
Die Veröffentlichung und Rezeption ihrer Werke fällt schon aus dem Grund schleppender aus, da sie sich in der ungewöhnlichen Stellung als Frau herausnimmt, detailliert über Tabuthemen zu schreiben. In ihrem Debütroman Kvinnor och Appelträd beschreibt sie beispielsweise die Geburt eines Kindes. Die werdende Mutter ist während des Vorgangs ganz auf sich allein gestellt, abgeschieden von der Außenwelt in der Küche ihres Hauses. Moa Martinson beschreibt die Schmerzen, den Vorgang bis hin zum Durchtrennen der Nabelschnur und den anschließenden Schlaf der Erschöpfung. Anstatt Frauen als starke Heldinnen anzusehen, wurde von der Öffentlichkeit wohl eher bemängelt, dass die männlichen Rollen schlecht wegkommen und hauptsächlich durch Alkohol, Grobschlächtigkeit und Abwesenheit glänzen.

Der Frauenbewegung der 1970er Jahre und vor allem der Dissertation der feministischen Literaturwissenschaftlerin Ebba Witt-Brattström ist es zu verdanken, dass Moa Marinson heute noch nicht in Vergessenheit geraten ist.

Autor: Karsten Piel – karstenpiel@gmx.de

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