Skandinavisches Design – Wohnen zwischen IKEA und Snickarglädje

Skandinavisches Design (Quelle: Privat)

In Stockholm steht der größte IKEA weltweit. Trotzdem findet man Samstags kaum einen Parkplatz, und ich, der ich mit Ubahn und Bus gekommen bin, muss aufpassen, dass ich in dem Trubel nicht von einem Volvo über den Haufen gefahren werde (Tod durch Klischee). Was man im Ikea (und jedem anderen beliebigen Möbelhaus in Schweden) kaufen kann, gehört zur Stilrichtung des skandinavischen Design. Das zeichnet sich aus durch klare Linien, hohe Praxistauglichkeit, die Verwendung von intensiven Farben und auffälligen Mustern bei Textilien und Tapeten, die als Blickfang dienen (siehe Foto) sowie das Einsetzen von Licht, um den Raum zu akzentuieren. Die verwendeten Materialien sind entweder extrem modern, lackierte Flächen, Metall und Chrom, oder betont traditionell, unbehandeltes Holz, Rattan, Stoff. Besonders fällt das bei den Möbeln ins Auge: die sehen allesamt aus als hätte man sie direkt aus einer Filmkulisse geklaut, wahlweise aus einem fünfziger-Jahre Film mit Dean Martin, oder aus einem Heimatfilm. Während erstere glatt und „cool“ und kaum verziert sind, werden letztere oft bemalt und verschnörkelt angeboten. „Snickarglädje“ werden diese Verschnörkelungen in Schweden genannt, und so sehr ich IKEA mag, aber schönere (und billigere) Bauernmöbel bekommt man beim Loppis.

Das Besondere beim schwedischen Design ist, dass diese beiden extremen Stilrichtungen, extrem modern und extrem traditionell, gleichzeitig verwendet werden, und das sich das nicht beißt, sondern miteinander harmoniert.

Während ich über die Feinheiten dieser Stilrichtung (und meinen Lieblings-Dean-Martin-Film) sinniere, schlendere ich durch die Gänge, packe hier und da ein paar Kleinigkeiten ein, eine Gießkanne, die man auch gut als Blumentopf verwenden kann, Gardinenringe, Teelichter. Um mich herum laden sich die Schweden ihre Wägen voll. Schließlich bin ich durch die Kasse und mache mich mit meinem großen Rucksack auf den Heimweg. Währenddessen verstauen die Schweden ihre Einkäufe im Volvo, fahren damit zum nächsten See, und versenken die Möbel. Ehrlich, das müssen die so machen. Anders kann ich es mir nämlich nicht erklären, dass die Schweden zwar dauernd Möbel kaufen, ihre Wohnungen aber so unglaublich leer sind, dass jeder Zen-Meister bei dem Anblick in Tränen der Rührung ausbrechen würde.

Kurz nach meinem Umzug nach Schweden wurden ich und mein Freund zu einem Studienkollegen und seiner Freundin nach Hause eingeladen. Ich hatte vorher gelesen, daß Schweden mit Einladungen zu sich sehr sparsam umgehen. Entsprechend wollte ich auf keinen Fall etwas falsch machen. Wir betraten das Wohnzimmer unserer Gastgeber. Am Fenster stand ein gedeckter Esstisch aus hellem Holz, eine Couch neben der Tür, an der Wand hing ein Flachbildfernseher und eine antike Eichenholzpendeluhr. Abgesehen davon war der Raum leer. Ich hatte im Gedächtnis, dass die Beiden eine Wohnung suchten, und machte eine witzige Bemerkung, dass sie wohl schon gepackt hätten.  Sie antworteten, dass sie bisher noch keine Wohnung gefunden, und noch gar nicht mit dem packen angefangen hätten.  „Es sieht hier immer so aus?“ entfuhr es mir. Sie warfen mir einen dieser Blicke zu, die ich mittlerweile zu gut kenne, die Schweden aufsetzen, wenn sich jemand in ihrer Mitte absolut daneben benommen hat.

Was ich später herausfand: das war eine ganz typische schwedische Wohnung. Die Wohnzimmer sind riesig groß, und spärlich möbliert. Nie fehlt eine Couchgarnitur und der obligatorische Riesenflachbildfernseher. Manchmal steht noch ein Billy-Bücherschrank in einer Ecke, aber das ist dann für die Schweden schon fast überladen. An den Wänden hängenein, maximal zwei geschmackvolle Stücke, ansonsten sind die Räume leer. Und aufgeräumt! Sogar die, in denen Kinder mit leben. Wie machen die das?

Auch ansonsten sind schwedische Wohnungen ganz auf Alltagstauglichkeit ausgerichtet. Oft herrscht eine offene Bauweise vor, Küche, Wohn und Esszimmer befinden sich in einem Raum. Die Küche ist meistens, egal ob Mietwohnung oder Bostadsrätt, schon eingebaut und genau auf die Raummaße angepasst. Die Bäder sind oft mit Duschen ausgestattet. Man hat keine Duschwanne, sondern einen Ablauf in der Mitte des Raumes. Kennt ihr die Szene aus Pippi Langstrumpf, wo Pippi sich Scheuerbürsten an die Füße zieht und damit den Boden sauber macht? Das kann ich in meinem Bad auch.

So, aber bevor ich mich an den Hausputz mache, bitte entschuldigt mich, ich muss noch mal los. Eben waren Schweden auf dem See und haben ein Loch ins Eis geschlagen. Vielleicht wollen die nur eisangeln. Aber vielleicht kommen die auch vom Möbel kaufen. Ich bräuchte noch nen Kleiderschrank.

Nachtrag zu den spartanisch eingerichteten Wohnungen: Freunde haben mich auf etwas Interessantes hingewiesen: das haben nur junge Leute. Die ältere Generation, vierzig aufwärts, haben dagegen volle, überladene Wohnungen. Ich habe drei Theorien, woran das liegen könnte. Erstens: die jungen Leute wollen, und ganz besonders hier in Stockholm, voll im Trend liegen. Und der geht in Richtung Minimalismus, zweitens: die Leute sind jung und hatten schlicht noch nicht genug Zeit, Möbel zu sammeln. Drittens: da die Leute hier sehr oft umziehen, besitzen sie so wenig wie möglich. Sobald sie sesshaft werden, richten sie sich richtig, und großzügiger ein. Welche der drei Theorien die Richtige ist, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich eine Kombination aus allen dreien.

Autor(in): Tina Skupin – tskupin32@gmail.com

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