Loppis

Stockholm ist eine der größten Modezentren der Welt mit Boutiquen, Einkaufszentren und Shops an jeder Ecke. Und sie haben alle das Gleiche! Scheinbar gibt es irgendwo einen geheimen Modeguru, der ein halbes Jahr vorher Rundmails schreibt: „OK, ihr Lieben, die Kollektion für nächste Saison umfasst kurze enge Röcke und extrem tief geschnittene Jeans. P.S: die Modefarbe ist grau……“ In grau sehe ich aus wie Gevatter Tods kleine Schwester. Und in diesen extrem engen Röcken gleiche ich eher einem Nilpferd (da bin ich nicht alleine. Mit den Leuten, die morgens mit mir in der Ubahn sitzen, könnte man problemlos Disneys Fantasia aufführen).

Aber alles Jammern nützt nichts, denn mein Schrank ist leer. Ich brauche neue Kleider. Und so stehe ich an einem grauen Freitag Nachmittag in einer Umkleidekabine. Neben mir liegen drei Hosen, die aussehen, als würden sie meiner neunjährigen Nichte gehören. Bei der ersten komme ich nicht mal in die Beine, bei der zweiten grade so. Bauch einziehen, Knopf zu! Der Stoff liegt hauteng. Mir wird komisch. Ich schäle mich aus der Jeans, massiere etwas Leben in meine Beine, und flüchte aus dem Laden. In manchen besonders grausigen Modejahren hätte ich um ein Haar nackt laufen müssen (was bei den schwedischen Temperaturverhältnissen absolut nicht empfehlenswert ist). Gott sein Dank gibt es Loppis!

„Loppis“ ist das schwedische Wort für Flohmarkt oder SecondHand- Laden, und die gibt es in Stockholm überall. Ihr Sortiment ist so unterschiedlich wie ihre Größe und ihr Aussehen. Neben den großen Ketten Emmaus, Myrorna und Stadsmission finden sich etliche unabhängige Läden, vor allem im Stadtteil Södermalm. Die meisten Loppisse pflegen ein gemütliches Durcheinander, und erinnern an Großmutters Dachboden. Man weiß nie, was man findet, die Auswahl ist gigantisch, und neben Fastnachtsmützen, Flamencokleidchen und Trägerhosen (und es macht so Spaß, sich damit zu kostümieren!) entdeckt man immer irgendwelche Schätze. Neben Kleidung führen die meisten auch Bücher, DVDs, Küchenzubehör und Möbel im Angebot. Ja, Möbel. Es gibt zwei Möbelketten in Schweden, hat mir mal jemand gesagt: IKEA und Loppis. Er hatte recht. Ein dunkler Sekretär mit Geheimfach, ein Küchentisch aus heller Birke für 12 Personen oder eine Schatzkiste. Wer eine Schwäche für schöne individuelle Möbel hat, ist im Loppis an der richtigen Adresse.

Für mich ist Loppis ideal, weil sie im Gegensatz zu den anderen Läden nicht nur die derzeitige Mode haben, sondern auch die der letzten Jahre. Allerdings muss ich zugeben, dass ich leicht abzulenken bin, und selten nur das kaufe, was ich ursprünglich gesucht hab:  Ich möchte eine Hose kaufen, und finde unter einem Stapel Zeitschriften die fünf Bände der Drachenlanze-Reihe, hinter denen ich schon seit Jahren her bin. Brauche ich Oberteile, verlasse ich den Shop garantiert mit drei Röcken und einem Strohhut. Ich will  eine neue Auflaufform und- finde eine neue Auflaufform. Auflaufformen gibt es seltsamerweise in jedem Loppis, den ich jemals betreten habe. Sogar in denen, die überhaupt keine Küchenartikel führen. Ich habe keine Erklärung für dieses Phänomen, muss wohl eine Verschwörung sein (Dan Brown, übernehmen Sie!)

Second Hand Läden, werdet ihr einwenden, ist nichts typisch Stockholmerisches, die gibt es in fast allen Großstädten. Das Besondere in Schweden: Hier gibt es sie auch auf dem Land. Jedes noch so kleine Kaff hat mindestens einen Loppis. Die werden meist karikativ von der Kirche oder einer anderen Einrichtung betreut, und haben nur ein oder zwei Tage in der Woche auf. Trotzdem sind diese ländlichen Loppisse auf der Höhe der technischen Entwicklung: Die Internetseite unseres örtlichen Loppis beispielsweise wird regelmäßig aktualisiert, jede Woche werden Fotos des aktuellen Angebots veröffentlicht. Man kann sich also freitags informieren, ob es etwas interessantes Neues gibt, und ob es sich lohnt, Samstags zum Laden zu kommen. Und meistens gibt es was Neues. Und meistens kommen die Leute! Und wie!

Als wir letzten Samstag gegen Mittag unseren lokalen Loppis betraten, standen die Leute schon in meterlangen Schlangen an den Kassen. Wir hatten das Fürhstück ausfallen lassen und beschlossen spontan, dem Geruch nach frisch gebackenen Kuchen nachzugehen, der aus der Cafeteria zu uns drang. Wir waren nicht die Einzigen, kein freies Plätzchen mehr. Aber dann rückten ein paar nette Schweden für uns beiseite, und wir konnten uns mit in eine Eckbank quetschen. Über uns hing ein Bild von einem röhrenden Hirsch, hinter mir stand eine Plastikpalme und eine ältere Dame brachte eine dampfende Kanne. Nun waren wir vom Dachboden meiner Großmutter in ihre viel zu kleine Küche gewechselt, mit ihrem unverwechselbaren Geruch nach Kaffee, Kitsch und Liebe.  Wir verputzten unseren Kuchen bis zum letzten Krümel und gingen auf Schatzsuche.

Nach drei Stunden verließen wir den Loppis, vollbepackt mit zwei Hosen, Gardinen für die neue Wohnung, einer Kopfstütze für die Badewanne, einer Auflaufform (war ja klar) und einem Kartoffelstampfer. Ach ja, und einem grauen Kapuzenkleid. Schließlich ist bald Fastnacht. Jetzt brauch ich nur noch eine Sense……

Meine Liste der besten Secondhandläden in Stockholm:

  • Emmaus (Peter Myndes Backe 8, U-Bahn Station Slussen): Die Ecke am belebten Verkehrstreffpunkt Slussen ist fest in der Hand von Emmaus. Am Anfang der Einkaufstrasse betreibt der gemeinnützige Verein zwei Läden, einer mit Designerkleidung, einer mit Kleidern und Küchenzubehör. Große Auswahl an Klamotten, auch für Kinder. Kleider, große Abteilung mit schwedischen und auch englischen Büchern.
  • Myrorna (Adolf Fredriks Kyrkogata 4-7, Ubahn-Station Hötorget): Mein Lieblingsladen in der Innenstadt. Große Auswahl an Kleidern und eine riesige Abteilung mit schwedischen, aber auch englischen Büchern, auch einige Möbel.
  • Myrorna (Stroholmsgatan 29, U-Bahn: Skärholmen): Etwas außerhalb der Stadt in der Nähe vom Ikea gelegen. Der größte der Genannten, mit einer riesigen Möbelabteilung (ich brauch ne größere Wohnung), und eigener Sportabteilung, mittelgroße Kleiderauswahl und Buchabteilung mit schwedischen und einigen englischen Büchern.

Und bevor jemand fragt: nein, ich bekomme kein Geld von den Läden dafür, daß ich sie hier nenne. Schade eigentlich…. 😉

Autor(in): Tina Skupin – tskupin32@gmail.com

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