Fika – mehr als nur Kaffee trinken

Quelle: eigene Kanelbulle

Ska vi fika? Ich erspare uns allen jetzt einfach den Schenkelklopfer, den jeder Schwedenfreund hundertfach gehört hat, und geh mal den Kaffee kochen. „Fika“, so liest man allethalben, heißt nicht mehr als „Kaffee trinken“. Das stimmt so nicht ganz. Natürlich könnte man es mit „Kaffee trinken“ übersetzen. Aber das wäre so, als würde man die japanische Teezeremonie mit „schnell nen Teechen kippen“ oder die indianische Friedenspfeife mit „eine Rauchen gehen“ übersetzen. Fika ist viel mehr als nur das Einfüllen einer dunklen Flüssigkeit in den Schlund. Soziales Happening, Rahmen für fast alle Arten von Gesprächen- was dem Engländer sein Fünfuhrtee, ist dem Schweden die Fika. Bei der Fika werden Verträge abgeschlossen, Freundschaften gebildet oder Scheidungen ausgehandelt.

Und die Schweden lieben ihre Fikapaus. Das sieht man schon an an den reinen Zahlen. Alljährlich liegt Schweden gemeinsam mit Nachbarn Finnland an der weltweiten Spitze, was Kaffeekonsum angeht. Morgens am Frühstückstisch, in der Bahn, auf der Arbeit (dazu gleich), Kaffee ist der Schweden liebstes Getränk.

Zentrum der Fika ist- natürlich der Kaffee. Darüber hat Silke hier ja vor Kurzem berichtet. In den Stockholmer Cafes gibt es mittlerweile auch alle Arten von Spezialitäten, und Cappucino, Milchkaffe und Latte Macchiato sind in allen Geschmacksrichtungen, von Haselnuss bis Erdbeere erhältlich. Ursprünglich gab es aber nur Koch- oder gebrühten Kaffee, und der ist etwa für die ganz Harten. Der Kaffee wird eher gebraut als aufgebrüht, in den Cafes wird er zudem oft über mehrere Stunden auf Warmhalteplatten stehen gelassen, bis er die Konsistenz von Melasse hat, Löffel auflösen und Tote aufwecken kann. Traditionell gibt es bei der Fika übrigens nur Kaffee. Tee oder heiße Schokolade sind eigentlich nicht Teil der Fika, aber da die Schweden ja fast in allem liberal ist, kann man ohne Probleme auch einen Tee bestellen (vor allem als Ausländer), ohne komisch beäugt zu werden.

Zum Kaffee gibt es das „Fikabröd“, das ist aber nicht (nur) Brot, sondern alle Arten von Süßwaren, Torten, Kuchen und Kaffeestückchen. Traditionell sollen bei der Fika mindestens sieben Sorten Backwaren (sju sorter Kakor) gereicht werden. Das stammt noch aus historischen Zeiten, wo sich die Bürgersfrauen gestritten haben, wer die beste Küche der Stadt hat. Ich kennen persönlich niemanden, der das noch macht. In unserer modernen Zeit, in der Hausfrauen in Schweden zu den vom Aussterben bedrohten Arten gehören, hat niemand Zeit, sieben verschiedene Sorten Leckereien zu backen. Kuchen kommt hier meist vom Konditor oder aus dem Ica, und Selbstgebackenes wird so viel Freude und Erstaunen „wie, du hast gebacken“ beäugt. Ich weiß, in einigen Büchern ist immer noch zu lesen, dass die sju sorter kakor zur zeitgenössischen Kultur Schwedens gehören. Meiner Meinung nach hat sich das ja jemand ausgedacht, der darauf spekuliert hat, dass man ihm das glaubt, und er leckere Süßspeisen satt bekommt.

Fika gehört in Schweden zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Zum einen wegen der wunderbaren Gepflogenheit des Påtar: in fast allen Cafes kann man sich gratis Kaffee nachfüllen. Bei einem mehrstündigen Aufenthalt ein Angebot, von dem ich gerne Gebrauch mache (allerdings nicht zu oft, wenn ich mehr als drei Tassen Kaffee am Tag trinke, heb ich ab und flieg ums Rathaus). Zweitens bekommt man überall gratis Wasser zum Kaffee dazu. Was für eine großartige Idee. Ich weiß nicht, wie oft ich in Deutschland Lust auf einen Kaffee hatte, aber dann wegen zu großem Durst und magerem Studentengeldbeutel auf eine Schorle umgeschwenkt bin. Hier kann ich Wasser trinken, so viel ich will. Mein Flüssigkeitshaushalt freut sich. Mein Flüssigkeitshaushalt, aber nicht mein Geldbeutel oder meine Figur. Jedesmal schwöre ich mir: diesmal bin ich stark. Ich stehe an der Auslage und warte auf meinen Kaffee. In der Auslage lachen sie mich an, das Fikabröd: Kanelbulle, Möhrentorte, Himbeer- und Blaubeerpai, Muffins, Princesstorte. Endlich bekomme ich meine Kaffeetasse, mit einem kaum wahrnehmbaren Zittern drehe ich mich um. Geschafft! Ich bin stolz auf mich! In dem Moment steigt mir ein Duft in die Nase. Die Bedienung hat den neuen Kuchen aus dem Ofen geholt. Es duftet nach dunkler Schokolade und einem Hauch von etwas, dass mir im Moment nicht einfällt (es sind Pekanüsse), nach Zimt, und Kardammon, nach knuspriger Hülle und weichem Inneren, aus dem die Schokolade rinnt. Chokoladkaka, der Kuchen, dem ich nie widerstehen kann. Ich kehre besiegt zurück bestelle mir ein extra großes Stück und nehme mir vor, nächste Woche nun endlich den Fitnessraum in der Firma auszuprobieren.

A propos Firma. Auch da gibt es Fika, die Arbeitsfika, die in zahlreichen Betrieben zelebriert wird. Während dieser Zeit, meistens so gegen 10 Uhr morgens, wird die Arbeit in Schweden quasi niedergelegt. Es ist keine gute Idee, zu dieser Zeit irgendwo anzurufen oder sich eine Schere in den Arm zu rammen. Ich meine das ernst, es kann sein, dass der Chirurg erst seinen Kaffee austrinkt, bevor er die Blutung stillt. Zur Arbeitsfika kommen alle, und das meint, ALLE, von der Putzfrau bis zum Geschäftsführer. Bei diesen Fikas wird alles besprochen. Arbeitsabläufe, Umstrukturierungen, Urlaubspläne, alles ist Teil der Fikapause, ebenso wie die Schulerfolge der Kinder und die Karriere des Partners. Arbeitsfika ist eine echte Jobbfalle für den Einwanderer. Egal, wie die Leute sich anstrengen, sobald sie anfangen, Wichtiges zu besprechen, fallen sie ins Schwedische. Böse Zungen behaupten, die Fikagespräche wäre der Hauptgrund, warum man in fast allen Firmen schwedisch beherrschen muss. Das ist ganz bestimmt nicht der einzige Grund- alle internen Memos, als Anweisungen werden auf schwedisch verschickt, aber ganz ehrlich- so ganz unwahr ist das auch nicht. Also: schwedisch lernen und Kaffee trinken, dann klappt´s auch mit der Integration.

Nun muss ich aber los. Ich bin mit einer Freundin zur Fika verabredet und will nicht zu spät kommen. Was ich aber noch sagen wollte: ich hasse ja eigentlich, solche Verallgemeinerungen, wie „niemand bäckt mehr die sju sorter kakor“. Wenn jemand jemanden kennt oder gar noch selbst bäckt, bin ich mehr als froh, mich zu korrigieren. Natürlich müsste ich dies zunächst überprüfen. Und zwar ausgiebig. Alle sieben Sorten…..

Autorin: Tina Skupin – tskupin32@gmail.com

1 Kommentar

  1. Marion Tieg

    Herrlich – dieser Beitrag,ich komme aus dem Schmunzeln gar nicht raus! Und ja, der Kladdkaka ist wirklich eine Sünde wert, den muss man einfach probiert haben – aber in Schweden! Ich hoffe, wir können ihn im Juli wieder genießen.
    Liebe Grüße, Marion

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