Die große Auswanderung

In der Mitte und gegen Ende des 19. Jahrhunderts und auch noch im 20. Jahrhundert verließen Millionen Schweden ihre Heimat, um in der Neuen Welt ein neues Leben zu beginnen. Etwa ein Viertel der damaligen Bevölkerung wanderte nach Amerika aus und ließ sich dort vor allem in den Bundesstaaten Minnesota und Wisconsin nieder, die vom Klima her ihrer Heimat am ähnlichsten waren. Anfang des 20. Jahrhunderts versuchte man den ausgewanderten Schweden die Rückkehr in die Heimat schmackhaft zu machen und tatsächlich kehrten etwa ein Fünftel aller Auswanderer wieder zurück.

Eine Vorstellung darüber, wie das damals ablief, was die Leute bewegte, nach Amerika auszuwandern, wie die lange Reise verlief und wie sie sich in der neuen Heimat fühlten, bekommt man am besten, durch die Romane des aus Småland stammenden Schriftstellers Vilhelm Moberg (1898-1973). In seinen vier Romanen, „Die Auswanderer“, „In der neuen Welt“, „Die Siedler“ und „Der letzte Brief nach Schweden“ schildert er sehr eindrucksvoll das Leben der Auswanderer. Die Romane wurden später unter dem Titel „Utvandrarna“ verfilmt, mit Liv Ullmann, Monica Zetterlund und Max von Sydow in den Hauptrollen. In der deutschen Version hieß der Film „Emigranten“. Das Filmgelände in Småland, Duvemåla in der Nähe von Emmaboda, kann man besichtigen. Wenn man die Bücher gelesen hat, erinnert vieles in dieser Region an Mobergs Schilderungen.

Außerdem kann man sich im Haus der Auswanderer in Växjö ebenfalls über jene Zeit und die damaligen Ereignisse informieren. Vilhelm Moberg hat dieses Haus, welches das größte Archiv zu diesem Thema in ganz Europa enthält, zusammen mit ein paar Zeitgenossen im Jahre 1968 gegründet.
Bekannt ist inzwischen auch das Musical „Kristina från Duvemåla“, das die ABBA-Musiker Benny Andersson und Björn Ulvaeus zu diesem Thema geschrieben haben und das 1995 in Malmö uraufgeführt wurde.

Warum sind nun so viele Schweden ausgewandert?
Etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts lebte vor allem die Bevölkerung von Småland und Värmland in zunehmender Armut. Die Bevölkerungszahl stieg und konnte durch viele Missernten nicht mehr ernährt werden. Der Traum von einer besseren Welt in Amerika verbreitete sich im Land, und immer mehr waren bereit, die Strapazen der Reise auf sich zu nehmen, da sie im eigenen Land nichts mehr zu erwarten und keine Hoffnung mehr hatten. Zudem war es in Schweden verboten, einer anderen Religion als der schwedischen Staatskirche anzugehören, und das Verhältnis zur Monarchie, deren Distanz zur Bevölkerung immer größer wurde, trieb die Bevölkerung dazu, dem eigenen Land den Rücken zu kehren. Dazu kam, dass der 1862 in Amerika erlassene „Homestead Act“, die Einwanderung in dieses Land bedeutend einfacher machte. Jeder der sich im Westen der USA niederließ, bekam ein Stück Land praktisch kostenlos.

Die Reise nach Amerika bedeutete für die Betreffenden zunächst eine lange Schifffahrt von mehreren Wochen. Der Platz auf den Schiffen war überaus beengt und es gab wenig zu Essen. Viele Reisende erkrankten an Skorbut und Todesfälle waren an der Tagesordnung. Viele stellten sich in Amerika ein Leben im Paradies vor, so manche Gerüchte waren nach Schweden hinübergedrungen. Man erzählte sich von der religiösen Toleranz und der politischen Freiheit und der Möglichkeit, dort drüben in Wohlstand und Zufriedenheit zu leben. Aber, angekommen im Hafen von New York, ging die Reise weiter, lange Strecken über Land waren zurückzulegen, bis man endlich sein Ziel erreicht hatte. Von der amerikanischen Regierung konnte man sich aufgrund des Homestead Act ein Stück Land zuteilen lassen und hier fing man dann ganz von vorne an. Bäume mussten abgeholzt, eine Unterkunft musste aufgebaut werden, oft zunächst eine kleine Behausung, später baute man das Haus dann immer größer. Viele Schweden ließen sich in Minnesota oder in Wisconsin nieder, in den Staaten, die ihrer Heimat am ähnlichsten waren. Die Winter hier waren sehr kalt und in den ersten Jahren hatten es die Siedler schwer. Viele wurden von Heimweh geplagt, aber an Rückkehr war kaum zu denken. Im Jahre 1890 hatte der Anteil der schwedischen Bevölkerung in Amerika fast 800 000 erreicht. Nicht alle Schweden hatten versucht, das Land der Prärie zu bebauen, viele zog es auch die Städte, vor allem junge und unverheiratete Schweden suchten oft Arbeit in großen Städten. Chicago war im Jahre 1900 nach Stockholm die Stadt mit der größten Anzahl schwedischer Einwohner. Junge, alleinstehende Frauen bekamen häufig Arbeit als Haushaltsgehilfinnen in amerikanischen Familien.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte in Schweden die Industrialisierung ein, man hatte unter dem Verlust eines so großen Bevölkerungsanteils zu leiden. Viele junge und begabte Schweden hatten das Land verlassen, Arbeitskräfte wurden benötigt, die den Fortschritt des Landes vorantreiben sollten. Als Gründe für die Auswanderung erkannte man nun Unzufriedenheit, Unterdrückung und Armut und ergriff Maßnahmen, um die Bevölkerung zum Bleiben zu veranlassen und auch um die Ausgewanderten zur Rückkehr zu bewegen. Man versprach bessere Bildungsmöglichkeiten, wirtschaftliche Entwicklung, bessere Wohnmöglichkeiten, allgemeines Wahlrecht usw. So kehrte ein großer Anteil der Ausgewanderten tatsächlich zurück. Sie hatten zum Teil ein ansehnliches Vermögen in Amerika erwirtschaftet, das sie nun in der Heimat investierten. Einige zog es aus auch Heimweh nach Schweden zurück, andere wollten ihren Lebensabend in der alten Heimat verbringen und aus manchen Familien waren es erst die Ur- oder Ururenkel, die schließlich den Weg nach Schweden zurückfanden.

Autor(in): Heide – Heide.Walker@conductix.com

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